Predictive Analytics (PA) oder einfach vorausschauende Datenanalyse ermöglicht uns, künftige Ereignisse mit Hilfe von historischen Daten bestmöglich vorauszusagen. Ob man nun eine Absatzprognose braucht oder das zukünftige Kundenverhalten einschätzen will, ob ein möglicher Maschinenausfall antizipiert oder das Kreditrisiko eingeschätzt werden soll – mit qualitätvollen Daten und den richtigen Algorithmen können sich Unternehmen darauf vorbereiten und dabei viel Geld sparen.

Gast in dieser Episode des Digital-Strategen ist Franziskos Kyriakopoulos, Data Scientist sowie Gründer und CEO von 7lytix. Im Gespräch mit Mario Eckmaier erzählt er über mögliche Use Cases und nennt Beispiele für den erfolgreichen Einsatz von Predictive Analytics.

Außerdem

  • gibt er klare Begriffserklärungen für PA, AI und Data Science,
  • stellt die vier Stufen/Formen der Datenanalyse vor,
  • erklärt die einzelnen Schritte bei der Umsetzung der vorausschauenden Datenanalyse und
  • bringt Argumente zu den Optionen „Kaufen“ oder „Selbermachen“.

Algorithmen statt Orakel

Als gebürtiger Grieche kennt Franziskos Kyriakopoulos das Orakel von Delphi natürlich. Trotzdem verlässt er sich heute lieber nicht auf die Mythologie, um Entscheidungshilfen für die Zukunft zu geben: „Für eine erfolgreiche und gute PA braucht es saubere Daten, eine gute Mathematik und leistungsfähige Computer für große Datenmengen. Darüber hinaus benötigt man ein Framework, in dem Algorithmen trainiert werden, und eine Software für die Datenausgabe.“

PA sei keine völlig neue Erfindung, meint der Data Scientist. Bereits in den 1960er-Jahren habe man Forschungsergebnisse, die das Kundenverhalten prognostizierten, für den Markteintritt von neuen Produkten herangezogen. Dass sogenannte Buzz-Modell, eine Art Differenzialgleichung, war damals State of the Art und wurde für den Launch von TV, Waschmaschinen oder Zigaretten verwendet.

Ende der 1980er-Jahre gab es Count-your-Customer-Modelle, die auf Excel-Listen basierten und berechneten, ob Kund:innen erneut kaufen würden oder nicht. Die Grundlagen für Künstliche Intelligenz seien allerdings schon vor 70 Jahren geschaffen worden, und zwar durch die Arbeiten des britischen Mathematikers und Informatikers Alan Turing.

Demand Forecasting als prominentes Anwendungsszenario

Bedarfsprognosen gehören zu jenen Use Cases, die am häufigsten nachgefragt werden und auch sehr breit gefächert sein können. Wenn z. B. ein Modehändler wissen will, wie viele Sneakers er in den kommenden Wochen an jedem Point of Sale benötigen wird, ist das eine eher kurzfristige Analyse für Data Scientists. Allerdings können diese mit dem gleichen Algorithmus Daten für Großhändler, Produktionsfirmen und Logistikunternehmen erstellen, damit die benötigten Sneakers auch rechtzeitig produziert, geliefert und verteilt werden.

In diesem konkreten Fall würde man für PA auf eine Reihe von Daten zurückgreifen, meint Kyriakopoulos:

  • Historische Verkäufe
  • Bestandsentwicklung über die Zeit
  • Produktinformationen wie Farbe, Größe, Marke, Beschaffenheit
  • Daten aus den POS (Liegt die Filiale zentral oder am Land?)
  • Zeitpunkt (v. a. im Bekleidungshandel wichtig, vgl. Black Friday oder Woman Day in Österreich)
  • Marketingdaten (z.B. Verkaufssteigerung durch eine aktuelle TV-Werbung)

Wie läuft ein PA-Projekt ab?

„Der wichtigste Schritt besteht darin, das Businessproblem zu identifizieren“, betont Kyriakopoulos. „Man fragt also: Was wollen wir lösen? Das könne eine Prognose für die Absatzmenge der kommenden 14 Tage sein oder die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Maschine in den nächsten 30 Tagen ausfallen wird, die sogenannte Predictable Maintenance.

Danach erst gehe es um die Daten. Welche gibt es, können bzw. dürfen sie verwendet werden? Was sagt die DSGVO dazu? Nicht immer müssen dabei Daten personalisiert verwendet werden, meint der Datenexperte, viele Analysen funktionierten auch mit anonymisierten Daten. Unternehmensinterne Daten würden dann oft mit externen Datensätzen verknüpft: beispielsweise Wetter, Corona-Inzidenzen oder ökonomische Daten (BIP, Arbeitslosenrate, Euribor …).

Erst mit dem dritten Schritt beginne die Arbeit der Data Scientists. Leider sei die Qualität der Daten oft sehr mangelhaft, bedauert Kyriakopoulos. Qualitätsanalyse und Datenbereinigung seien daher zeitaufwändige Teildisziplinen der Data Science geworden. Im Anschluss daran werden die Daten zusammengeführt und – auch Texte – in Zahlen transferiert. Diese Vektoren und Matrizen könne man sich wie riesige Excel-Dateien vorstellen – und die verschiedenen Modelle wie Pokémons, die miteinander kämpfen: Jedes habe seine besonderen Fähigkeiten und führe zu anderen Ergebnissen.

Das Ergebnis – eine Punktlandung

Die verschiedenen Modelle zu kombinieren und daraus eine eindeutige Prognose zu erstellen, sei die Kunst der Data Scientist, meint Kyriakopoulos. Diese Eindeutigkeit werde von den Auftraggeber:innen erwartet. Und sie müssen auch davon überzeugt sein, dass die vorgeschlagene Lösung etwas bringe. Die Customer Acceptance sei daher ein weiterer wichtiger Schritt im PA-Projektablauf – genauso wie der letzte Punkt, nämlich, dass sich die Lösungen in die betriebseigenen Systeme integrieren lassen.

Beispiele aus der PraxisMonetarisierung und Return on Investment

In der Industrie sei vor allem die Predictable Maintenance ein häufiger Use Case für PA, erzählt Franziskos Kyriakopoulos. Die Investitionen in eine vorausschauende Datenanalyse würden sich hier enorm rentieren, das habe z.B. der Return on Investment (ROI) von 20 bei einem Kundenprojekt bewiesen.

Datensätze zum Ausfall von Air-Pressure-Systemen bei LKWs hätten ergeben, dass 1 % höhere Genauigkeit bei der Analyse eine Kostenersparnis von 40 % bringen würde. Sehr hoch sei der ROI auch bei personalisierten Marketingkampagnen, meint Franziskos Kyriakopoulos.

Ein weiterer Anwendungsfall sei das Kreditrisiko im Bereich Finance. Bei der Frage nach unentdeckten bzw. zusätzlich entdeckten Risiken agiere man im Millionen-Euro-Bereich, betont der Datenexperte. Das liege auch daran, dass die meisten europäischen Banken regelbasierte Systeme verwenden, die mit Machine-learning-Modellen nicht mithalten können.

Make or buy?

Baue ich mir die Kompetenz für PA in meinem Unternehmen selbst auf (make) oder kaufe ich sie zu (buy) – diese Fragen stellen sich viele Unternehmer:innen. Franziskos Kyriakopoulos bringt dazu Pro- und Kontra-Argumente:

Make

  • Es braucht ausreichend Kompetenz, z. B. im HR, um die richtigen Personen zu finden, die diese Kompetenz aufbauen können.
  • Nicht alle Data Scientists haben dasselbe Know-how, darüber hinaus ist in diesem Job auch Durchhaltevermögen wichtig.
  • Eine eigene PA-Abteilung kostet: Für einen Junior Data Scientist müsse man mit 40.000 bis 50.000 Euro Bruttogehalt pro Jahr rechnen, Seniors kosten zwischen 60.000 und 80.000 Euro. Für mehrere oder größere Use Cases brauche es Leute für die Datenaufbereitung, Softwareentwicklung, Webentwicklung, Datenvisualisierung, eventuell auch fürs Projektmanagement, da käme bald einmal ein Team aus sieben oder acht Personen zusammen. Diese müssen auch ausgezeichnet miteinander kommunizieren können.
  • In Einzelfällen könne PA jedoch am Anfang auch mit einem einzigen, guten Data Scientist funktionieren.

Buy

Hier gibt es laut Kyriakopoulos mehrere Optionen: Unternehmen können sich an eine Agentur, einen Consulter oder – für größere Projektvolumen – an große Consultancys wenden. Dabei würden Konzeption und Datenaufbereitung oft sechs Monate, manchmal sogar ein bis zwei Jahre dauern.

Seine eigene PA-Agentur 7lytix bietet ein anderes Geschäftsmodell als Basisservice an: Use Cases werden abstrahiert und mit Datensätzen der Unternehmen parametrisiert.

Ein neuer Trend sind Low-Code- oder Visual-Coding-Plattformen. „Ganz ‚no code‘ geht es aber auch hier nicht“, meint Franziskos Kyriakopoulos. „Denn schließlich muss man auch verstehen, welche Kastln man da zusammenbaut.“

Ein Blick in die Zukunft

„Der Trend ist da und wird adaptiert, nicht zuletzt durch die Bestrebungen der EU und der Industrie, weiterzumachen“, sagt Franziskos Kyriakopoulos. In den nächsten Jahren werde jedes Unternehmen Tools zur Verfügung haben und manche Use Cases würde es dann schon als App geben.

Der Datenexperte bezweifelt die Vision von Alibaba-Gründer Jack Ma, der gemeint hat, in ein paar Jahrzehnten werde jeder CEO durch einen Roboter ersetzt werden. „Aber natürlich wird daran geforscht, Entscheidungen zu automatisieren, siehe den Bereich Reinforcement Learning Prescriptive.“

Viele Algorithmen würden auch noch nicht ganz funktionieren, gibt Franziskos Kyriakopoulos zu bedenken, sie seien vorerst nur ein Paper. Aber eines dürfe man nicht vergessen: „Wer Nassim Talebs Bücher „Fooled by Randomness“ („Narren des Zufalls“) und „Black Swan“ gelesen hat, weiß, worum es geht: Man kann nicht alles prognostizieren, das führen uns die derzeitigen Krisen gerade vor Augen. Es gibt einen Unsicherheitsfaktor auch bei Künstlicher Intelligenz, auch das beste KI-system wird nicht alles vorhersehen können. Damit müssen wir uns anfreunden.“

Verwandte Begriffe und Schnittmengen

PA, AI (KI) oder Data Science seien als Megatrends inzwischen zu Buzzwords verkommen, bedauert Kyriakopoulos. Sie würden mit Hypes überladen und müssten unterschiedlichen Erwartungshaltungen standhalten. Er schlägt dafür folgende Definitionen vor:

Artificial Intelligence
AI oder KI (Künstliche Intelligenz) ist ein Tool, das uns dabei unterstützen soll, bessere Entscheidungen zu treffen. Daran sei nichts Magisches, sondern es sei angewandte Mathematik, über eine Software implementiert, auf echten Daten evaluiert und betrieben. 

Data Science
Das bedeute, den wissenschaftlichen Prozess auf Daten anwenden, sodass er falsifizierbar wird. Allerdings gebe es im Bereich der Daten keine Naturgesetze wie in der Physik und Chemie, daher müsse man empirisch vorgehen. Man unterscheidet vier Formen/Stufen von Analysen:

Predictable Analysis: Man zieht aus empirischen Daten Schlüsse und arbeitet mit Prognosen.

Descriptive Analysis: Man fragt, was bisher passiert ist.

Diagnostic Analysis: Hier lautet die Frage: Warum ist was passiert? Diese Anlayse werde leider viel zu wenig betrieben, weil sich niemand gern für Fehler rechtfertigen wolle.

Predictive Analysis: s.o.

Prescriptive Analysis: Hier können konkrete Handlungsempfehlungen gegeben werden, also z. B.  personalisierte Produktempfehlungen auf einer Website (nach außen) oder Handlungsempfehlungen an Mitarbeiter:innen (nach innen).

Franziskos Kyriakopoulos

Der technische Physiker und Data Scientist hat 2016 das Startup 7Lytix mitgegründet, dessen CEO er heute ist. In seinem Unternehmen optimiert Franziskos Kyriakopoulos mit Hilfe von Data Science Geschäftsprozesse in den Bereichen Produktion, Supply Chain und Handel.

Franziskos Kyriakopoulos auf LinkedIn

Mario Eckmaier auf LinkedIn

Show CommentsClose Comments

Leave a comment

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.